Kommunikations-und Informationsplattform für resiliente krisenrelevante Versorgungsnetze

 

Die weltweiten Krisensituationen der letzten Jahre haben die Resilienz der hiesigen Versorgungssysteme immer wieder auf eine harte Probe gestellt. Die Corona-Krise hat die Fragilität der Wirtschaft und ihre Abhängigkeit von globalen Produktions- und Lieferketten verdeutlicht. Die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten, wie dem Krieg in der Ukraine, auf die Lebensmittel- und Energieversorgung sind für die gesamte Welt spürbar. Doch wie kann verhindert werden, dass aus einer kritischen Versorgungslage eine katastrophale wird?

Im Projekt ResKriVer wird eine digitale Plattform umgesetzt, die über Anwendungen Künstlicher Intelligenz (KI) die Sammlung, Erstellung und Kommunikation von krisenrelevanten Informationen für Versorgungsketten ermöglicht. Insbesondere sollen die Auswirkungen von Engpässen in den Versorgungsketten von Unternehmen und öffentlichen Bedarfsträgern prognostiziert werden. Wir haben mit Projektleiter Professor Thomas Hoppe des Fraunhofer FOKUS und der HTW sowie Christoph Stiller, Teilprojektleiter der Berliner Feuerwehr, über die Entstehung des ResKriVer-Projekts, das Potenzial für kommende Krisen und die Übertragbarkeit der Plattform gesprochen.

Herr Prof. Hoppe, bitte erklären Sie uns wie das Projekt ResKriVer zustande kam und welche Projektpartner mit an Bord sind?

Prof. Thomas Hoppe: Durch eine Ankündigung von Berlin Partner habe ich von einem Antragsworkshop zu der damaligen Ausschreibung erfahren. Kurzfristig habe ich die Pitch-Präsentation einer Idee eingereicht, wie wir durch eine verteilte Plattform die Erhebung und sichere Speicherung von Lieferketten-Informationen deren Analyse unterstützen wollen. In der Konsequenz meldeten sich dann die Berliner Feuerwehr, rbb, Merantix, FhG IML, HFC und YOUSE bei mir, dass Sie Interesse an der Mitwirkung hätten. Der rbb hat dann den Kontakt zur Charité hergestellt, die Feuerwehr zum vfdb und KomRe, und ich zu Condat und eccenca.

Wie funktioniert Ihre digitale Plattform und welchen Einfluss hat KI hierbei?

Prof. Thomas Hoppe: Wie genau die digitale Plattform funktioniert, kann ich hier – noch nicht – darlegen. Die Grundidee dahinter ist durch semantische Modellierung – und dies ist mindestens vier der KI-Krisenmanagementprojekte gemein – den jeweiligen Anwendungsbereich mit Methoden der symbolischen KI zu beschreiben. Einerseits erlaubt dies einfachere Anpassungen und Erweiterungen an neue Krisen-/Katastrophenszenarien, andererseits stehen gerade für Krisen und Katastrophen keine großen Datenmengen zur Verfügung, um nicht-symbolischen KI-Verfahren, hierzu zählen die Maschinellen Lernverfahren, Künstliche Neuronale Netze und Deep Learning, in großem Umfang einsetzen zu können.

Im Rahmen von ResKriVer setzen wir dabei unterschiedliche KI-Verfahren ein: Sprachverarbeitungsverfahren zur Analyse von Social-Media-Postings, Bayes’sche Netze zur Analyse der Schwachpunkte von Lieferketten und Verfahren des Reinforcement Learnings zur Optimierung von Simulationen. Darüber hinaus wollen wir Bayes’sche Netze zur Ermittlung dringlich zu behandelnder Risikopatient*innen im Krisenfall einsetzen sowie Lernverfahren zur Komprimierung von mit Drohnen erhobenen Sensordaten.

 

Vor allem durch die Corona-Pandemie sind wir in den letzten zwei Jahren krisenerprobt und haben durch den Stillstand von Produktionen diverse Engpässe erleben müssen. Bei welchen systemischen Schwachstellen könnte ResKriVer in Zukunft helfen?

Prof. Thomas Hoppe: Was die Lieferketten bzw. weiter gegriffen die Wertschöpfungsketten betrifft ist es unser Ziel einerseits Schwachstellen, wie z.B. „Flaschenhälse“, die bei Disruptionen zu einer Unterbrechung führen, und Alternativen, wie z.B. alternative Lieferant*innen, Produzent*innen oder substituierende Produkte, zu identifizieren. Und andererseits, anhand von realen Daten Vorhersagen über Lieferzeiten, Verzögerungen und verfügbare Mengengerüste zu machen.

Wir stehen jedoch hier vor einem großen Problem, welches die Verfügbarkeit der benötigten Daten betrifft. In der globalisierten Weltwirtschaft mit ihren verteilten Produktions- und Lieferprozessen können wir bisher lediglich Ausschnitte dieser Ketten – eigentlich sind es ja Netzwerke – erfassen. Wir entwickeln da zwar Technologien zur verteilten, sicheren Datenspeicherung vertraulicher Informationen und zur Analyse und Simulation, kommen aber derzeit noch nicht an die notwendigen Daten ran. Hier bräuchten wir Kontakte und Informationen zu und über die gesamte Kette von den Rohstoffen über Produzent*innen, Transportunternehmen und Lieferant*innen bis hin zu den Endkund*innen, um diese Schwachstellen überhaupt sichtbar und transparent zu machen.

Herr Stiller, beim Teilvorhaben der Berliner Feuerwehr liegt der Fokus auf der Gewährleistung der Handlungsfähigkeit von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Was bedeutet das im Fall der Feuerwehr?

Christoph Stiller: Als Berliner Feuerwehr müssen wir jederzeit in allen Bereichen – dazu zählen zum Beispiel Brandbekämpfung, Notfallrettung und technische Hilfeleistung – einsatzfähig sein und bleiben. Dafür braucht es die entsprechende Ausstattung: Schutzausrüstung für die Einsatzkräfte, technisches Gerät und medizinisches Material zur Versorgung von Patient*innen.

Gerade in Krisen sind wir auf funktionierende Lieferketten angewiesen. Dazu gehören nicht nur Güter und Ressourcen, sondern auch krisensichere Kommunikationskanäle. Im Projekt ResKriVer liefert die Berliner Feuerwehr als Praxispartnerin das Fachwissen für Versorgungs- und Kommunikations-Prozesse bei Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.

Welchen Krisen-Szenarien begegnen Sie regelmäßig oder auch unvorhergesehen – wie etwa die Corona-Pandemie? Wie kann die ResKriVer-Plattform bei der generellen Steigerung der Resilienz helfen?

Christoph Stiller: Beispiele für unvorhergesehene Krisen, die die Berliner Feuerwehr in der Vergangenheit bewältigt hat, sind z.B. der Stromausfall in Köpenick, die Orkane Ylenia und Zeynep im Februar 2022 oder der Vegetationsbrand im Grunewald im Juli 2022. Mit gewisser Regelmäßigkeit unterstützt die Berliner Feuerwehr zum Beispiel bei Bombenentschärfungen oder versorgt bei Szenarien wie extremer Hitze oder großen Sportereignissen eine erhöhte Anzahl an Patient*innen. So wird beispielsweise die Fußball EM 2024, mit Spielen in Berlin, die Berliner Feuerwehr in allen Bereichen fordern.

ResKriVer trägt zur generellen Steigerung der Resilienz bei, indem Informationen schnell und konsistent zugänglich gemacht werden. Das umfasst Informationen wie Lagerbestände und andere verfügbare Ressourcen, Informationen über unbegehbare Gebiete, die mittels Drohnen zugänglich werden, und Informationen aus der Bevölkerung, die durch Social-Media-Monitoring erfasst werden. Eine belastbare Informationsgrundlage ist nicht nur in Krisenszenarien unerlässlich für die Entscheidungsfindung. Eine große Frage ist derzeit, wie Kommunikationskanäle für die wichtigsten Informationen im Falle eines Stromausfalls aufrechterhalten werden können. Aber auch im Alltag einer BOS kann diese Informationsgrundlage die Resilienz einer Organisation stärken, indem spätere potentielle Herausforderungen frühzeitig erkannt werden und Prozesse in der eigenen Organisation transparent und kommunizierbar werden.

Bleiben wir einmal beim Thema Kommunikation: Eine zielgruppenadäquate Ansprache ist essentiell zur Bewältigung von Krisen. Welche Stellschrauben sehen Sie hier im Hinblick auf die Arbeit von Behörden und Organisationen wie Ihrer?

Christoph Stiller: Die Berliner Feuerwehr kommuniziert derzeit über verschiedene Medien, teils mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Zielgruppen. So wird Instagram beispielsweise schwerpunktmäßig zur Personalgewinnung eingesetzt.

Eine Möglichkeit, die im Projekt ResKriVer verfolgt wird, ist eine stark zielgruppen-gerichtete Kommunikation in lokal gegrenzten Ausnahmesituationen, wie bei einem Stromausfall in einem bestimmten Bezirk oder bei einer lokalen Rauchentwicklung. Durch die entsprechenden technischen Hilfsmittel könnten Botschaften so gestreut werden, dass explizit Bürger*innen in der Nähe der Schadensstelle informiert werden. An dieser Stelle ist die Zusammenarbeit mit den anderen Projektpartner*innen zentral. Der rbb entwickelt in diesem Zusammenhang einen „Krisenkompass“. Damit Medienanstalten, wie der rbb, der Bevölkerung im Krisenfall die richtigen Informationen zur Verfügung stellen können, braucht es krisenfeste Kommunikationskanäle zwischen Medienanstalten und Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben.

Der generelle Ansatz des Projekts ist die Übertragbarkeit auf unterschiedlichste Krisen. In wie weit ist das möglich und welche Szenarien werden hier in den Blick genommen?

Prof. Thomas Hoppe: Wir fokussieren uns im Projekt auf regionale oder nationale, länger andauernde Krisen. Hier liegt unser Fokus auf großflächigen Bränden, Versorgung mit Blutkonserven, die Behandlungsplanung elektiver Risikopatient*innen und die Kommunikation mit der Bevölkerung und in Blackout-Situationen. Jedes dieser Szenarien steht da nur stellvertretend für jeweils eine ganze Klasse von Situationen.

Großflächige Brände, beispielsweise, besitzen die Charakteristik, dass man in die betroffenen Gebiete nicht ohne weiteres hineinkommt, um Informationen zu gewinnen und das Einsatzkräfte über einen längeren Zeitraum gebunden sind, versorgt und ersetzt werden müssen. Vom Charakter her ist dies übertragbar auf Überflutungs-, teilweise auf Dürresituationen oder Situationen in denen die Verkehrswege nicht mehr flächendeckend zur Verfügung stehen (z.B. terroristische Handlungen oder Kriegssituationen).

Die Versorgung mit Blutkonserven ist eine Problematik, die in Szenarien greift in denen eine große Zahl verletzter Patient*innen anfallen, die aber auch schon in den Sommermonaten während der Reisezeit akut wird.

Die Behandlungsplanung von Risikopatient*innen, die noch nicht sofort behandelt werden müssen, haben wir ja am Anfang der Corona-Pandemie kennen gelernt, bei der nicht-dringliche Eingriffe erstmal verschoben werden mussten. Hier wollen wir exemplarisch einen Lösungsansatz erarbeiten, der sowohl in Pandemie-Situationen als auch in Fällen greift bei denen Notaufnahmen und Intensiv-Stationen durch viele Akutfälle an ihre Auslastungsgrenzen stoßen.

Aus Sicht eines Informatikers oder Informationswissenschaftlers können wir die Übertragbarkeit dieser Ansätze durch wissensbasierte Systeme erreichen, also Systeme in denen Wissen über die Anwendungsbereiche und Szenarien explizit repräsentiert und damit austauschbar wird, die Verarbeitungsmethoden aber selbst unabhängig von den Anwendungsbereichen bleiben. Für erlernte Modelle ist dies nur in sehr eingeschränktem Maß möglich.

Das ResKriVer-Projekt bringt Technologieentwickler, Anwendungspartner*innen und Befähiger an einen Tisch. Konnten Sie von den Use Cases anderer Partner*innen lernen, welche für die Arbeit der Feuerwehr in Krisensituationen relevant sein könnte?

Christoph Stiller: Die anderen Praxispartner*innen bringen, ebenso wie die Berliner Feuerwehr, für ihren Wirkbereich spezifische Use Cases in das Projekt ein. Hierbei gibt es auch Überschneidungen, wie zum Beispiel im Bereich der Kommunikation mit der Bevölkerung, der Unterstützung der Arbeit von Krisenstäben oder der Nachverfolgung von Lieferketten krisenrelevanter Güter. Das Wissen und die Erfahrungen der jeweiligen Praxispartner*innen fließen in Demonstratoren ein, von denen wiederum verschiedene Beteiligte profitieren können. Zum Beispiel wird im Rahmen des Projekts das ausfallsichere Kommunikationsnetz, welches die KomRe einbringt, auf den rbb ausgeweitet. Diese Ausweitung des Kommunikationsnetzes stellt auch für die Berliner Feuerwehr einen Gewinn dar, weil so die Reichweite ein- und ausgehender Nachrichten im Falle eines Stromausfalls erhöht wird.

Was für eine Bedeutung hat das Projekt für Berlin und kann es außerdem Vorbild für andere Städte und Bundesländer sein?

Prof. Thomas Hoppe: Die Übertragbarkeit der Projektergebnisse auf andere Regionen und Bundesländer ist für uns ein Ziel. Hier haben wir durch den rbb für die öffentlichen Rundfunkanstalten, durch den vfdb e.V. und die Berliner Feuerwehr und durch die Charité als größtes vollversorgendes Universitätskrankhaus gute Chancen als Vorbild zu dienen und die Lösungen des Projektes zu übertragen.

Prof. Hoppe, mit der Konferenz „Vernetztes Krisenmanagement 2022“ konnten Sie im Oktober Anwender*innen, Entscheider*innen und Wissenschaftler*innen zusammenbringen, die sich mit der zivilen Gefahrenabwehr beschäftigen. Wie ist Ihr Fazit der viertägigen Konferenz? Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?

Prof. Thomas Hoppe: Für diese erste Konferenz „Vernetztes Krisenmanagement 2022“ mit rund 127 Teilnehmer*innen stand für uns die Vernetzung von fünf der sechs KI-Krisenmanagementprojekte im Vordergrund. Dies wurde auch vom Projektträger und dem BMWK sehr begrüßt. Im Planungsvorfeld haben wir Konsortialleiter dieser Projekte dabei bereits gelernt, dass unsere Projekte nicht in Konkurrenz zueinanderstehen, auch wenn es sicherlich Überschneidungen gibt, sondern sich eigentlich ergänzen. Von daher denke ich, haben wir mit dieser Veranstaltung einen weiteren Schritt zur gegenseitigen Vernetzung getan. Unser Ziel ist es hier an einem gemeinsamen Use Case aufzuzeigen, wie die Projektergebnisse zusammenspielen können. Für die nächste Konferenz die Ende September 2023 bei uns im Fraunhofer-Institut FOKUS in Präsenz stattfinden soll, habe ich auf jeden Fall gelernt, dass wir früher mit der Planung beginnen, alle Unsicherheiten durch Corona ignorieren und unsere ersten Ergebnisse transparent machen sollten.

Vielen Dank für das Gespräch.

* Dieses Interview wurde von Amira Gutmann-Trieb, Clustermanagerin IKT, Medien und Kreativwirtschaft bei Berlin Partner geführt.

Die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH, und das dort ansässige Clustermanagement IKT, hat bei der Initiierung des Projekts sowie der Vernetzung und Zusammenführung des Konsortiums unterstützt.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf #ai_berlin veröffentlicht.